ANDALUSIEN: Eine Reise nach Almería und Somonte

von Johannes Dahmke, 04.03.2017, Veröffentlicht in Archipel 256

Im Herbst 2016 nahm ich mir Zeit, die Freundinnen und Freunde der Gewerkschaft SOC in Almería und El Ejido in ihrem Alltag zu besuchen und einen Ausflug zur Landbesetzung von Somonte zu machen.

Flughafen: moderne, grelle Welt, langes Anstehen an der Passkontrolle, die Rückgabe meines Passes – kein Problem, auch das Überwinden von Grenzen für mich als weisser Europäer – kein Problem. In Málaga weiter mit der Metro. Nagelneu, gefühlte hundert Meter unter der Erde und wochentags in der rush hour: vier Fahrgäste. Ein Projekt aus dem Boom der Baujahre und – was hier rar ist – fertig gestellt.
Mit einer Mitfahrgelegenheit geht es weiter nach Motril, wo mich Federico von der SOC abholen wird. Meine Mitfahrerin ist eine Lehrerin, die täglich die knapp hundert Kilometer zwischen Málaga und Motril pendelt. Da die Junta (Regierung der autonomen Region Andalusiens) nicht fähig ist, einen Lehrkräfteplan für einen längeren Zeitraum zu erstellen, muss sie wie fast alle jungen Lehrer_innen, Jahr für Jahr ihren Arbeitsplatz und oft auch die Stadt wechseln. Als ich ihr von der Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen BürgerInnen Forum (EBF) und der SOC in Almería erzählte, wies sie auf die armen Einheimischen hin, die unter den gleichen Bedingungen arbeiten würden; sie verstehe nicht, warum die NGOs nicht vor allem diesen hülfen. Und sowieso gäbe es sehr viele Sozialschmarotzer unter den Migrant_innen. Sie schien mir selbst überrascht über die Härte in ihrer Sprechweise und entschuldigte sich für ihre Positionen, da sie ja keine Rassistin sei aber es seien halt die Gitanos und Schwarzen, die am wenigsten arbeiten würden. Da steckt Spanien seit fast zehn Jahren in einer von korrupter Politik und einer spekulativen Bank- und Baubranche verursachten schweren Krise und schuld sind: die Ausländer. Und es kommt regelmässig wieder zu rassistischen Übergriffen gegen Gitanos und Migrantengruppen.
Generationenwechsel gefragt
Während wir an der Mittelmeerküste die touristischen Bausünden um Málaga verlassen, nähern wir uns dem «Plastikmeer von Almería». Unsere Prognose, dass die industrielle Landwirtschaft in Andalusien an der Konkurrenz aus Nordafrika zerbrechen würde, verschiebt sich auf unbestimmte Zeit. Es werden weiter Kredite vergeben, und an den wenigen, noch nicht unter Plastik verschwundenen Flecken Erde entstehen immer neue und modernere Gewächshäuser. Es macht jedesmal wütend zu sehen, was aus einer so reichen Gegend gemacht wurde. In dieser Region wurde einst ohne Plastik und ohne Pest- und Herbizide produziert, was ein griechischer Gott sich wünschen würde.
Nach einem Abend in Órjiva in den Alpujarras begleite ich die Kerngruppe der SOC aus Almería zu ihrer monatlichen Koordinationssitzung. Es stehen zwei Delegationsreisen an: eine in die Schweiz und eine nach England, dann geht es um Abschlussbilanzen und es wird über die Aktivitäten in den Beratungsstellen von El Ejido und Nijar für immigrierte Landarbeiter_innen berichtet. Viel Platz nimmt eine Diskussion über einen Generationswechsel ein. Wie können die in den letzten Jahren dazugestossenen Menschen sich auch an der internationalen Vernetzung beteiligen? Spitou, Federico und Abdelkader sind seit über einem Jahrzehnt in der Gewerkschaft aktiv und sowohl bei der Beratungsarbeit, der Auseinandersetzung mit ausbeuterischen Gewächshausbetreibern, aber eben auch in der internationalen Kampagne, mehr als routiniert. Ihr Ruhestand rückt näher und eine Ablösung ist noch nicht aufgestellt.
In der Beratungsstelle
Die Aktivitäten in den Lokalen laufen seit meinem letzten Besuch wieder stetiger, vor allem in El Ejido wo neben der Beratungstätigkeit von Abdelkader das «programa para mujeres» (Programm für Frauen) begonnen hat. Carmen, federführend daran beteiligt, lädt mich für den nächsten Tag auf einen Besuch ein, dem ich mit Freude nachkomme.
Das Lokal von El Ejido liegt etwa fünf Minuten zu Fuss vom Zentrum entfernt und ist mit Motiven der Arbeiterbewegung geschmückt. Als im Jahr 2000 bei pogromartigen Ausschreitungen marokkanische Läden und Einrichtungen zerstört wurden, gab es keine Kaffeehäuser geschweige denn Anlaufstellen, wo sich die Migrant_innen hätten treffen können. Das hat sich zwar etwas gebessert, eine Segregation findet aber trotzdem noch in weiten Bereichen des alltäglichen Lebens statt. So erzählt mir am Morgen der Wirt eines marokkanischen Cafés, dass bis heute kaum weisse Spanier_innen bei ihm einkehren und das Marokkaner_innen in den schicken Bars in der Region oft nicht bedient werden würden.
Das ist bei der SOC anders. Carmen, als Jugendliche aus Ecuador eingewandert, lebt seit über zwanzig Jahren in Spanien und ist inzwischen eingebürgert. Über die Ausbeutung unter Plastik kann sie aus eigener Erfahrung berichten. Die zweite starke Frau bei «programa para mujeres» ist in El Ejido gross geworden: Zaidas Eltern haben drei Hektar unter Plastik in Bio. Alles direkt vermarktet über Bioläden und Konsument_innen-gruppen. Sie machen ihr eigenes Saatgut und gäbe es mehr von solchen Leuten, sähe die Welt hier anders aus. Zaida war für die «izquierda unida» (Vereinigte Linke) in Almería aufgestellt, hat sich aber von der offiziellen Politik schnell wieder verabschiedet. Dass die Vernetzungstreffen einer Gruppe gegen Zwangsräumung seit einem Jahr hier stattfinden, hat sie initiiert. Wie die meisten anderen aus ihrer Generation, schlägt sie sich irgendwie mit kleinen, miesen Jobs durch. Am Nachmittag fand einer der wöchentlichen Sprachkurse statt. Das Lokal war gut besucht und die Stimmung beinahe ausgelassen. Es geht natürlich nicht nur um die Sprache, es ist auch ein Ort an dem sich Frauen aus verschiedensten Kulturen treffen, sich untereinander austauschen, sich beraten lassen können und einen Schutzraum finden.
Auf dem Land von Somonte
Unser Somonte -Trio bestand aus Monto, Zaida und mir – Johannes, genannt: Joanson del foro civico. Monto ist Beamter und arbeitet seit dreissig Jahren in der Bürgermeisterei von El Ejido. Er kann mit viel Sarkasmus die Entstehung der «kriminellen Vereinigung PP» (Parti Popular: spanische konservative Volkspartei) erklären und kennt bestens die grossen und kleinen Fälle von Korruption aus der Region. Somonte ist etwa fünf Stunden von El Ejido entfernt: Plastik an der Küste, Olivenhaine im Inneren. Monokultur, wo das Auge hinschaut. Federico hatte mir diverse Telefonnummern gegeben, um uns anzumelden. Zur Zeit leben zwei Menschen auf dem besetzten Landgut (Finca) Somonte: Combativo und Manuel. Beide um die vierzig. Manuel ist seit Beginn der Besetzung dabei und hat einen Bericht mit einer Landwirtschaftsstudentin über die Finca geschrieben; interessant und als Grundlage für eine Möglichkeitsstudie nutzbar.
Wir machen einen Rundgang: Der Kongress der verantwortlichen SAT-Gewerkschaft hat den Bewohnern das Recht zugesprochen, einen Garten anzulegen und ihn biologisch zu bewirtschaften. Knapp zwei Hektar, wovon etwa die Hälfte bepflanzt war. Aller-dings kannten die Beiden sich sehr wenig mit Gartenbau aus und wussten nicht, was eine Rotation der Kulturen bedeutet. Das schreibe ich nicht, um mich lustig zu machen; das Beispiel zeigt einfach, was ausser dem Überwinden der extremen Hierarchien in der Gewerkschaft noch alles zu tun ist. Nichts desto trotz schmeckte das Gemüse ausgezeichnet. Und es schwang eine Menge Freude und Stolz der Beiden mit, biologisches Gemüse und Eier zu produzieren und zumindest einen kleinen Bereich unter den eigenen Fittichen zu haben.
Der Rest des Geländes wird klassisch, also chemisch bewirtschaftet. Wie viele Hektare das sind, wusste mir niemand so genau zu sagen: in etwa 400. Zur Bodenvorbereitung werden in der Region die Äcker abgebrannt; in einer ohnehin extrem trockenen Gegend eine einfache Methode. Kein Insekt und kein Halm bleiben da übrig. Ein schauriger Anblick: Soweit das Auge reicht, verbrannte Erde – Tausende von Hektare.
Zivilcourage und Knebelgesetz
Am Abend kamen dann zwei Familien aus Burgos, die den Sommer über bereits zwei Monate auf der Finca waren. Die eine Familie ist Opfer von den überall präsenten «desahucios», Zwangsräumungen, und die andere aktiv im Kampf dagegen. Unglaublich couragierte und engagierte Menschen, die tüchtig frischen Wind ins Haus brachten. Abends haben wir dann eine grosse Tafel gedeckt und mit fünfzehn Menschen aus der Republik getafelt. Wie da mit all dem Krach noch kommuniziert werden konnte, bleibt mir ein Rätsel.
Nach dem Essen machten wir einen Stuhlkreis und jede_r stellte sich, die jeweilige Gruppe und ihre Kämpfe vor. Das erste Mal, dass ich eine dreistündige Diskussion ohne Unterbrechungen in Andalusien erlebt habe. Spannend und schön, wie manche Menschen sich den Mut nicht nehmen lassen, trotz dieser Misere aufrecht zu bleiben und sich zu widersetzen. Sie erzählten von den Auswirkungen des im Sommer 2015 verabschiedeten, sogenannten Knebelgesetzes «ley mordaza». Es bedeutet die Beerdigung der fundamentalen demokratischen Rechte wie der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sowie der Meinungsfreiheit. Zentral dabei sei, dass nun alles bestraft würde, was nicht zuvor angemeldet wurde, z.B. spontane Proteste. Dies könne mit Bussen von bis zu 600‘000 Euro belegt werden. Was vorher noch dem Strafrecht unterlag, wird nun zu Strafbeständen, also administrativ geahndet. Das habe damit zu tun, dass es in den fast 500 Verfahren gegen Personen, die seit der Entstehung der Bewegung «15M 2011»1 wegen Störung der öffentlichen Ordnung festgenommen wurden, zum Freispruch kam. Eine Entwicklung wie sie übrigens auch in Italien bevorsteht, um die NoTAV-Bewegung gegen den Bau einer unnötigen Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge mit horrenden Geldbussen in die Knie zu zwingen. Bei einer weiteren, fast unglaublichen Massnahme geht es darum, die Schnellabschiebung von Menschen zu ermöglichen, die es von Marokko aus über die Stacheldrahtmauern in die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta schaffen. Obwohl Jurist_innen dagegen Sturm gelaufen sind, weil diese Abschiebungen verfassungswidrig sind und gegen internationale Abkommen verstossen, sind diese legalisiert worden.
Landbesetzungen bleiben in Europa eine Ausnahme, und auch wenn an Somonte einiges zu kritisieren ist, bleibt dieses Projekt absolut unterstützenswert und es sollte wieder auf das internationale Themenparkett gestellt werden, anstatt es unter den Teppich zu kehren.

  1. movimiento de los indignados, entstanden im Mai 2011.